Das Haus der Großeltern

 

Es wirkte schon immer irgendwie gespenstisch auf mich. In der Nacht vor allem, als ich noch ein Kind war. Auf dem Dachboden konnte man sich nur in der Hocke fortbewegen und man war in Gefahr, einen Nagel in den Kopf zu bekommen, reckte man diesen zu sehr in die Höhe. Oft hörte ich Geräusche, die mir Angst machten. denn dort oben konnte ja eigentlich niemand sein.

 

Schon einige Menschen hatten in diesem kleinen Haus gewohnt, oder zumindest genächtigt. Die Großeltern, deren Vater, bzw. deren Eltern, ein Großonkel, meine Mutter, mein Onkel, mein Stiefvater, ich, eine Ziehschwester und eine Nichte meines Onkels. Zeitweise machte auch noch die Chefin von Großtante Mia Sommerferien in unserem Haus. Abgesehen von den Menschen gab es auch Hunde, Katzen, Hühner und viele kleine Mäuschen.

Als dieses Foto gemacht wurde, war ich ungefähr 16 Jahre alt. Wir waren in Griechenland auf Urlaub. Zu dieser Zeit hatte ich bereits viele Menschen verloren, die mir viel bedeutet hatten. Die erste Frau des Onkel, die mit uns im Haus gewohnt hatte, war verstorben. Es folgte meine Großmutter, dann der Großvater und schließlich auch die Großtante Mia. Onkel und Tante hatten die Tochter von Tantes Schwester aufgezogen und das Kind musste weg von uns. Alles war sehr beängstigend. Dafür gab es auch etwas Positives. Endlich durfte ich die Schule verlassen und eine Lehre beginnen. Ich sollte Buchhändlerin werden. 

Mein Horizont erweiterte sich ich lernte fremde Menschen kennen, las politische und philosophische Bücher. Doch tief in mir wusste ich: das wollte ich gar nicht. Es wurde mir sozusagen aufoktroyiert. Politik interessierte mich nicht wirklich. Lieber las ich Bücher über Religionen. Erstmals wurde ich mit der Idee der Wiedergeburt konfrontiert. Darüber konnte ich jedoch mit niemandem sprechen. Dann kam das "Aha Erlebnis". Ich las "der Golem" und war fasziniert. Stundenlang rannte ich mit dem Hund durch den Wald und versuchte das Unverständliche zu verstehen. Die Idee, ein Mensch ohne Eigenschaften zu werden, ein Golem, ergriff mich und ließ mich nicht mehr los. In den Strudel irrer Fantasien gerät man schnell und kommt nur mühsam wieder heraus.

 

Die Reihen hatten sich gelichtet, die Überbevölkerung war überwunden. Im Winter waren wir nur noch zu Viert, plus ein Hund, im Sommer wohnten auch Onkel und Tante bei uns im Haus. Auf diesem Foto sind meine Eltern und die (angeheiratete) Tante. Da war ich um die 20 Jahre alt.

Das Haus war nun mein Rückzugsort, mein sicherer Hafen. Dort grübelte ich vor mich hin. Nachdem die Großeltern verstorben waren, durfte ich in ihre Wohnung im Parterre einziehen. Das war meine eigene Welt der Geheimnisse.

 

Auf dem Dachboden waren keine bösen Spukgestalten, stellten wir fest. Marder tanzten dort oben herum, wurde uns klar, als wir sie einmal zufällig aus dem Fenster huschen sahen. Auch meine Mutter atmete auf. Ganz egal war ihr der Krach den die Tiere machten, auch nicht gewesen. Trotzdem hatte sie nie - genau wie ich auch - darüber ein Wort verloren.

In diesem Haus hatte ich meine paranormalen Erlebnisse und Visionen. Die hatte ich mir hart erarbeitet und erlitten. Zum Glück bin ich nicht sonderlich sentimental. Um das Haus tut es mir nicht leid. Wir haben es verkauft und der Käufer hat es abgerissen. Als wäre es nie da gewesen. Geblieben sind nur einige wenige Fotos und Erinnerungen an schreckliche, bedrohlich, gefährliche und an herrliche Zeiten.

 

Im Lauf der Zeit verwandelte es sich immer stärker in ein gruseliges Spukhaus. Es widerstrebte mir, bestimmte Räume im Dunkeln zu betreten. Vor allem nachdem ich wieder einen echten Spuk erlebt habe. Er war beeindruckender als alles was ich bisher erlebt hatte.

 

Meine Mutter war bereits pflegebedürftig, der Onkel vor kurzem verstorben.Sie wohnte nun alleine in seiner Wohnung im Parterre. Zuvor hatten sie gemeinsam dort gewohnt. Am Abend zog ich ihr Schuhe und Strümpfe aus. Deshalb saß sie auf diesem Bett, ich hockte vor ihr auf dem Boden. Plötzlich begann das Bett zu knirschen und zu knarren. Es war ungeheuer laut. Dann hörten wir schwere, ebenso laute Schritte am Bettende. Als würde ein Mann hin und her gehen. Das Bett begann sich zu bewegen. Es verschob sich zwar nur ungefähr 20 bis 30 cm, aber das war deutlich zu erkennen, weil man die Türe nicht mehr so offen halten konnte wie vorher. Zuvor war sie angelehnt gewesen. Man konnte sie um 45° öffnen, so dass sie direkt am Bett lehnte. Das war nun nicht mehr möglich. Einbildung war das also keine. Wir hatten auch Beide den Lärm gehört, den das Bett machte und meine Mutter spürte natürlich auch die Bewegung, die es machte. Seltsam war, dass ich in diesem Moment keinerlei Angst empfand.

Offen gesagt, hätte ich nie gedacht, dass so etwas möglich ist. Ich glaube es auch nur, weil ich es selbst erlebt habe. Meine Mutter wäre am liebsten nicht mehr in dieser Wohnung geblieben. Wir hatten aber keine Möglichkeit sie anderweitig unterzubringen. Sie tut mir heute noch Leid.

 

Wer dieser unsichtbare Geist war? Ich weiß es nicht. Entweder mein bester Freund aus der Kindheit, P, oder mein verstorbener Onkel. P war einige Zeit vor diesem Ereignis verstorben. Wir trafen einander manchmal zufällig, wenn er seine Schwester besuchen kam, die in meiner Nähe wohnte. Einige Monate vor seinem Tod unterhielten wir uns miteinander. Mir fiel ein, wir hatten als Volksschulkinder einen Pakt geschlossen. Wer von uns als erstes stirbt kommt zurück und sagt dem anderen, wie es drüben aussieht. Er war erstaunt. "Das habe ich total vergessen!", meinte er nachdenklich. Nachträglich schien es mir, als habe ich ihn gerade noch rechtzeitig an sein Versprechen erinnert. Deshalb kam er zurück. Reden konnte er jedoch offenbar nicht.

Das wäre eine Möglichkeit. Die andere wäre, dass mein verstorbener Onkel sich bemerkbar machen wollte. Er war eifersüchtig auf seine Schwester, die noch weiter leben durfte, während er sterben musste.

 

Einige Zeit später hatte meine Mutter einen Anfall. Als ich sie fand lag sie schräg im Bett, halb heraus ragend und war nicht ansprechbar. Sie konnte sich weder bewegen, noch sprechen.

 

Eigentlich sollte ich mich nicht fürchten, weil sowohl P, als auch mein Onkel mich mochten. Trotzdem fand ich diese Wohnung unheimlich.

So gesehen war es Zeit, einen neuen Ort zu suchen. Einen der noch jungfräulich ist, obwohl auch dort Menschen gelebt haben. Fremde Menschen. Angeblich sehr gute Menschen. Bisher fühle ich mich dort wohl. Mal sehen, ob das so bleibt.